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Tägliche Arbeit von Chemikern in Labors der Chemischen Analytik ist die
Identifizierung chemischer Substanzen anhand von zumeist spektroskopischen
Daten, die sogenannte Molekulare Strukturerkennung. Genauer
handelt es sich dabei um die Ermittlung eines mathematischen Modells
für das Molekül der vorliegenden chemischen Substanz.
Für chemische Moleküle kennt man mehrere approximative
Modelle. Von der mathematischen Chemie werden --- entsprechend dem
gegenwärtigen Stand von Theorie und Praxis --- insbesondere
die folgenden Approximationsstufen behandelt:
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Die erste Approximationsstufe ist die chemische Formel, oder
auch Summen- bzw. Bruttoformel,
beispielsweise CH für das Benzol.
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Die zweite Approximationsstufe ist die Strukturformel oder
Konstitutionsformel. Hiervon gibt es 217 verschiedene zu der
Summenformel CH; diese nennt man auch die Bindungsisomere des
Benzols. Von diesen sind bisher etwa 70 nachgewiesen worden.
Diese Tatsache, daß es zu einer chemischen Formel mehrere (u.U. sehr viele)
Strukturformeln geben kann, nennt man chemische Isomerie, vgl. unten.
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Die dritte Approximationsstufe heißt Konfiguration. Sie
berücksichtigt die wesentlich verschiedenen räumlichen Anordnungen
(oft als Stereoisomere bezeichnet), beschrieben durch die räaumlichen
Valenzwinkel und deren relativen Anordnungssinn. Hiervon
gibt es zu den genannten 217 Konstitutionsformeln insgesamt 958 verschiedene.
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Die nächste Verfeinerung sind Konformationen. Darunter versteht
man alle energetisch verschiedenen räumlichen Anordnungen
eines Moleküls. Diese sind nicht notwendig diskret. Die Zahl wesentlich
verschiedener Konformationen ist aber unter bestimmten Bedingungen
(etwa in Ringen) endlich.
Man sieht hieran, wie diese Verfeinerungen des (mathematischen)
Modells des Benzolmoleküls schnell komplizierter werden, dadurch aber
gleichzeitig eine immer feinere Approximation der Realität ermöglichen.
Weitere Approximationsschritte verlangen dann etwa Quantenchemie,
sie werden deshalb i.w. nur noch numerisch lösbar. Schon die angegebenen
ersten drei Approximationsschritte sind mit einem hohen Aufwand
verbunden, wenn man sie realisieren und danach visualisieren will.
Mit einer Mischung verschiedener
Methoden aus Kombinatorik, Algebra und Graphentheorie ist
es gelungen, leistungsstarke Computerprogramme zur vollständigen und
redundanzfreien
Berechnung aller Konstitutions- und aller Konfigurationsisomere und zur
diskreten Klassifizierung von Konformationen zu entwickeln. Ein Ergebnis ist
das Programmsystem
MOLGEN, das mit dem deutsch-österreichischen
Hochschulsoftwarepreis 1993 ausgezeichnet worden ist, als herausragende
Lehrsoftware im Fachbereich Chemie.
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T. Wieland
Thu Feb 1 08:04:14 MET 1996